Spiele,
Simulation und dynamische Systeme
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Probleme: In
den zwischenmenschlichen Beziehungen und in den Beziehungen zwischen Gruppen
stellt sich immer wieder die Frage: Welches Verhalten ist am zweckmäßigsten?
Oder anders ausgedrückt: Wie lässt sich mit möglichst wenig Aufwand möglichst
viel erreichen?
Ziel: Einige
Mechanismen der kulturellen Evolution sollen verdeutlicht werden.
Methode:
Die Verhaltensmuster werden auf elementare Interaktionen reduziert, so dass sie
sich als einfache Zweipersonenspiele modellieren lassen. Diese werden zu
Gruppenspielen jeder gegen jeden - jeder sogar gegen sich selbst - erweitert.
Bereits so lassen sich wesentliche Interaktionsmechanismen erkunden. Als zweite
Untersuchungsmethode wird die ökologische Simulation eingeführt.
Drei Elemente machen jegliche Evolution aus - Dogmatismus, Erfindung und Selektion.
Das mehr oder weniger sture Festhalten am Erprobten und Bewährten, sowie dessen Verbreitung, ist für jeden Fortschritt unerlässlich. Im Chaos gibt es nichts, was sich entwickeln könnte, nichts, wogegen sich ein Kampf lohnen würde. Neue Lösungen, Strukturen, Ideen müssen heranreifen. Aber Dogmatismus allein kann keine Weiterentwicklung bewirken.
Das Schöpferische kommt in die Evolution durch gelegentliche, zufällige kleine Abwandlungen des Überlieferten hinein. Auslöser solcher Abwandlungen sind Übermittlungsfehler, Neukombinationenen und Zusammenfügung alter Lösungen. Jedenfalls entsteht dabei immer etwas unverhersehbar Neues. Der Aufbau höher organisierter Strukturen aus niedrigeren trägt "jedesmal den Charakter des Zufälligen, wenn man so will, den einer Erfindung" (Konrad Lorenz). Das ist die Entzauberung des Schöpfungsaktes: Nicht der geniale Plan ist wichtig, der Zufall spielt die Hauptrolle. Auf diese Weise entsteht naturgemäß viel Ungeeignetes, Fehlerhaftes, zum Absterben Verurteiltes.
Die Ausführung dieses Plans ist Sache der Selektion: Nur was sich im Konkurrenzkampf bewährt, bleibt bestehen. Das ist die Auslese des Bestangepassten. Charles Darwin - und vor ihm Herbert Spencer - sprachen vom "survival of the fittest". Das ist gleichzeitig der Akt der Fehlerbeseitigung. Da nur die zweckmäßigen Strukturen übrigbleiben, entsteht im Nachhinein der Eindruck einer zielgerichteten Entwicklung.
Als Beispiel untersuchen wir das Falken-Tauben-Spiel:
Die Beschreibung
des Verhaltens einer Modellpopulation aus lauter Falken und Tauben ist dem Buch
von Dawkins
(1978) entnommen: "Nehmen
wir an, es gäbe in einer Population einer speziellen Art lediglich zwei Kampfstrategien,
die als Falke und Taube bezeichnet werden... Alle Lebewesen
unserer hypothetischen Population sind entweder Falke oder Taube. Falken
kämpfen so heftig und ungezügelt wie sie nur können und räumen das Feld erst,
wenn sie ernstlich verletzt sind. Die Tauben drohen lediglich auf eine
würdevolle, konventionelle Weise und verletzen niemals jemanden. Wenn ein Falke
mit einer Taube kämpft, so rennt die Taube schnell fort und wird daher nicht
verletzt. Wenn ein Falke mit einem Falken kämpft, so hören sie erst auf, wenn
einer von ihnen ernstlich verletzt oder tot ist. Trifft eine Taube auf eine
andere Taube, so wird niemand verletzt; jede stellt sich der anderen gegenüber
in Positur und so stehen sie geraume Zeit, bis es eine von ihnen müde wird oder
den Entschluss fasst, sich nicht länger aufzuregen, und daher klein beigibt...
Wir setzen jetzt rein willkürliche Punktzahlen, die wir an die Kämpfenden
verteilen, fest. Beispielsweise 50 Punkte für einen Sieg, 0 Punkte für
Verlieren, -100 für eine ernste Verletzung und -10 für Zeitverschwendung bei
einer langen Auseinandersetzung...
Nehmen wir an,
wir haben eine Population, die ausschließlich aus Tauben besteht. Wann immer
sie kämpfen, es wird niemand verletzt. Die Auseinandersetzungen bestehen aus
langwierigen rituellen Turnieren, vielleicht aus Wettkämpfen im Anstarren, die
erst aufhören, wenn einer der Rivalen klein beigibt. Der Sieger erzielt dann 50
Punkte dafür, dass er die umstrittene Ressource gewonnen hat, aber er zahlt
eine Strafe von -10 für Zeitverschwendung bei einem langen Anstarr-Match; alles
in allem erziehlt er also 40 Punkte. Der Verlierer wird ebenfalls mit einer
Strafe von -10 für Zeitvergeudung belegt. Im Durchschnitt kann jede einzelne
Taube erwarten, dass sie die Hälfte der Auseinandersetzungen gewinnt und die
Hälfte verliert. Ihre durchschnittliche Prämie pro Auseinandersetzung ist daher
das Mittel von +40 und -10, das heißt +15. Daher scheint es jede einzelne Taube
in einer Population von Tauben recht gut zu gehen." Die weitere Analyse
führt zu folgender Spielmatrix für jeden der Spieler.
eigener Gewinn |
||
Strategie des Gegners Eigene Strategie |
Taube |
Falke |
Taube |
aTT = 15 |
aTF = 0 |
Falke |
aFT = 50 |
aFF = -25 |
Das Falken-Tauben-Spiel als
gruppendynamisches Spiel
Das
Falken-Tauben-Spiel (Register "Spiele" des Excel-Arbeitsblatts FalkeTau.xls) wird in der "Jeder gegen den Rest der
Welt"-Variante (Variante 1) nach folgenden Regeln gespielt:
Das Verhalten der Mitspieler wird protokolliert. Der Ablauf des Spiels wird in der Gruppe diskutiert.
Wie ein Selektionsprozess funktionieren könnte, machen wir uns im Falken-Tauben-Spiel klar (Register "Spiele" des Arbeitsblattes FalkeTau.xls). Da wir die Wirksamkeit von Strategien untersuchen wollen, die in einer Population verbreitet sind, müssen wir nun das Spiel in der Variante "Jeder auch gegen sich selbst" spielen (Variante 0). Jeder Spieler vertritt jetzt also nicht ein Individuum, sondern eine bestimmte gemischte Strategie. Spielregeln:
Variante 0a. Der Spieler mit dem besten Ergebnis übernimmt das Feld des Spielers mit dem schlechtesten Ergebnis und trägt dort seine Strategie ein (bei Gleichheit der Ergebnisse trifft es den jeweils am weitesten links stehenden Spieler).
Variante 0b. Der Spieler mit dem schlechtesten Ergebnis (bei mehreren schlechtesten einer von ihnen) muss seinen Taubenanteil in Richtung des Spielers mit dem besten Ergebnis ändern, z.B. um 5%.
Die ökologische Analyse ist eine Analyse
des Selektionsprozesses (Axelrod, 1987; Eigen,
1971) . Wir betrachten eine Population, deren Individuen nach gewissen
(gemischten) Strategien interagieren. Bei diesen Interaktionen bewährt sich
eine Strategie besser, die andere schlechter. Das macht den Überlebenserfolg
(oder Misserfolg) der Strategen aus. Die Ausbreitung (oder Schrumpfung) einer
Strategie innerhalb der Population wird als Wachstumsprozess modelliert.
Sei die Anzahl der Individuen, die die Strategie i verfolgen.
Die Populationsgröße N ergibt sich zu N =
. Die
Wahrscheinlichkeit
, auf ein Individuum der Strategie i zu
treffen, ist gleich dem Anteil dieser i-Strategen an der
Gesamtpopulation:
.
Mit aij wird die Auszahlung bezeichnet, die das Individuum der Strategie i beim Zusammentreffen mit einem Individuum der Strategie j erwarten kann (Auszahlungsmatrix).
Das Wachstum der Teilpopulation mit der Strategie i ist proportional
zur erwarteten Auszahlung (Gewinnerwartung) je Runde, und die ist gleich .
Die Wachstumsrate der Strategie i wird
gleich dem Mittelwert des Gewinns der Strategie i über alle möglichen
gegnerischen Strategien gesetzt: . Das ist die Produktionsrate
der Strategie i. Das Wachstumsgesetz für die Teilpopulation mit der
Strategie i ist dann gleich
Wer mit der Differentialrechnung nicht vertraut
ist, kann die folgende kurze Herleitung übergehen. Er wendet sich besser gleich
dem Resultat - dem Wachstumsgesetz der Populationsanteile - und dessen
Interpretation zu.
Aus der Definitionsgleichung erhält man
mittels Ableitung (Differentiation)
Insgesamt haben wir - wenn wir auf der rechten
Seite der Gleichungen noch pi ausklammern - das folgende Wachstumsgesetz
für den Anteil der Population mit der Strategie i:
Der zweite Term in Klammern ist die Überschussproduktionsrate.
Summiert man die linke und die rechte Seite der Wachstumsgleichungen über alle
Populationen i auf, dann steht auf der linken Seite die
Änderungsgeschwindigkeit der Summe aller Wahrscheinlichkeiten. Da die Summe der
Wahrscheinlichkeiten gleich eins ist, muss diese Änderungsgeschwindigkeit
gleich null sein. Die Verminderung der Wachstumsrate einer jeden Strategie um
die Überschussproduktionsrate sorgt dafür, dass auch auf der rechten Seite die
Summe null herauskommt.
Wird der Wachstumsprozess im Computer simuliert,
sprechen wir von ökologischer Simulation.
Das Arbeitsblatt MemoLessStrategies.xls realisiert die ökologische Simulation des
Falken-Tauben-Spiels für Populationen mit zwei gemischten Strategien x1
und x2. Diese Strategien sind frei wählbar. Die Gewinnerwartung eines xi-Strategen,
der auf einen xj-Strategen trifft, ist gleich u(xi,
xj). Damit ergibt sich die
Auszahlungsmatrix zu . Die Anteile der Strategien x1
und x2 an der Gesamtpopulation werden mit p1
und p2 bezeichnet.
Der Einfachheit halber betrachten wir eine
Population mit nur zwei Strategien. Der Erwartungswert der Auszahlung für ein
Individuum mit der Strategie 1 ergibt sich zu u(x1, x1)× p1
+ u(x1, x2)× p2.
Eine elementare Umformung zeigt, dass dies gleich u(x1,
p1x1+p2x2)
ist. Das heißt: In der Formel für die Gewinnerwartung ist nur x2 durch
p1x1+p2x2
zu ersetzen und wir erhalten die erwartete Auszahlung für ein Individuum mit
der Strategie 1 innerhalb der durch die Verteilung der Strategien gegebenen
Umwelt. In Gleichgewichtspunkt bringen Falken und Tauben gleich viel ein und es
lohnt nicht, den Taubenanteil zu verringern oder zu vergrößern. Der
Ausgleichsvorgang hin zum Gleichgewicht kommt dadurch zustande, dass bei einer
Übervölkerung der Umwelt mit Tauben derjenige begünstigt ist, der den
geringeren Taubenanteil hat. Leidet andererseits die Umwelt an einem
Taubenmangel - immer gemessen am Gleichgewichtspunkt - dann sind Strategien mit
größeren Taubenanteilen begünstigt und wachsen dementsprechend schneller.
Unter einer evolutionär stabilen Strategie (ESS) verstehen wir eine Strategie mit folgender Eigenschaft: In einer Population, deren Individuen alle die ESS befolgen, ist eine Abweichung von dieser Strategie für kein Individuum lohnend, eine solche Population ist immun gegen Abweichler. Im Falken-Tauben-Spiel tendiert der Taubenanteil der Gesamtpopulation zum Gleichgewichtswert 5/12 (= 0,42). Die Gleichgewichtsstrategie ist eine evolutionär stabile Strategie.
1. Zu
untersuchen ist der Selektionsprozess in einer Population, in der zwei
gemischte Falke-Tauben-Strategien vertreten sind. Wählen sie die beiden
Strategien aus den folgenden aus: Reine Strategien (x=0, x=1),
optimale Strategie (x=5/6), evolutionär stabile Strategie (x=5/12).
Formulieren sie Vermutungen für das Ergebnis der Evolution für jede der16
Kombinationen. Führen Sie anschließend die ökologische Simulation durch und
vergleichen Sie ihre Vermutungen mit den Simulationsergebnissen. Hatten Sie
recht? Wenn nicht: was lässt sich daraus lernen? Siehe dazu das Kapitel "Aggression:
Die egoistische Maschine und die Stabilität" im Buch von Dawkins (1978).
2. Erstellen Sie ein Arbeitsblatt
für die ökologische Simulation für
Falke-Taube-Populationen mit mehr als zwei gemischten Strategien. Führen Sie
ökologische Simulationen für Populationen durch, in denen anfangs drei
Strategien vertreten sind.
3. Realisieren Sie folgende Variante
des Falken-Tauben-Selektionsprozesses
als Blatt SPIELE2 in FalkeTau.xls: Jede Strategie i
verfügt über eine Anzahl von Ni (z.B. initial Ni =10)
Individuen, die diese Strategie umsetzen (Die Taubenanteile sind
dementsprechend mit Ni zu wichten).
Die Änderung der Strategie erfolgt dann nach
Variante 0c: Für die
schlechteste Strategie wird Ni um eins erniedrigt, für die beste um
eins erhöht.
Diskutieren Sie Vor- und Nachteile gegenüber den anderen Varianten.
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© Timm Grams, 29.9.1999
© Wolfgang Konen, 13.09.2004